Die Geschwister Cäcilie und Louis Gumpert lebten gemeinsam mit ihrer geschiedenen Schwester Helene Cahn in der Bonenstraße und führten dort ein Modegeschäft. Zur Familie gehörten außerdem die Brüder Sally und Leopold. Die Tochter Helenes, Rosa „Rosel“ Lippmann (geb. Cahn) zog 1933 mit ihrem Mann Alwin, Offizier im Ersten Weltkrieg und für seinen Militärdienst mit höchsten Auszeichnungen versehen, und ihren Töchtern Hannelore und Inge von Düsseldorf nach Werne.
Auch die Polizei in Werne beteiligte sich an den Übergriffen auf die Juden der Stadt in der Reichspogromnacht. Einer von ihnen war der SS-Mann und Polizist Kretschmer, der die Aktionen gemeinsam mit drei weiteren SS-Angehörigen gegen Familie Gumpert anführte.
Wie auch in viele andere Häuser und Geschäfte verschaffte sich der Mob in der Pogromnacht gewaltsam Zutritt zum Haus und Geschäft der Gumperts. Möbel wurden zerschlagen, die Ladenausstattung aus den Fenstern geworfen. Hüte wurden beschlagnahmt. Per Zeitungsannonce wurden Kunden, die ihre Hüte zur Ausbesserung zu Gumperts gebracht hatten später aufgefordert, ihr Eigentum in der NSDAP-Geschäftsstelle abzuholen. Bürgermeister Kraus, der während der Pogromnacht die Beschlagnahmung der Waren beaufsichtigte, forderte kurz danach von allen städtischen Beamten und Angestellten eine Erklärung ein, dass weder sie noch ihre Frauen in den vergangen drei Jahren in Geschäften jüdischer Inhaber eingekauft hätten. Grund dafür war eine Zeitungsmeldung aus dem Oktober 1938, ein städtischer Angestellter sei „Kunde beim Juden Gumpert“ gewesen.
Als die SS in sein Haus eindrang floh Louis Gumpert aus dem Fenster des ersten Stocks. Mit einem Sprung wollte er sich auf das Dach des Nachbarhauses in Sicherheit bringen. Gumpert, damals fast 63 Jahre alt, rutschte jedoch ab und konnte sich nur knapp an der Dachrinne des Nachbarhauses festhalten. Diese konnte sein Gewicht jedoch nicht tragen, sie brach ab und Gumpert stürzte acht Meter in die Tiefe. Bei dem Sturz brach er sich die Kniescheibe.
Kretschmer, der inzwischen das Haus wieder verlassen hatte, rief von unten zum offenen Fenster des Hauses Gumpert herauf: „Schmeiß uns mal so ein Judenweib herunter!“ und stachelte die Menge an, Steine und Stöcke gegen das Haus zu werfen. Louis Gumpert lag derweil schwer verletzt auf der Straße.
Erst als vereinzelt aus der umstehenden Menschenmenge gefordert wurde, Gumpert ins Krankenhaus bringen zu lassen, wandte sich Kretschmer ihm zu. Er forderte ihn auf, seinen Namen zu nennen – obwohl er ihn natürlich kannte. Nur gegen Geld käme er ins Krankenhaus. Gumperts Verletzungen waren so schwer, dass er das Krankenhaus erst im März 1939 wieder verlassen konnte.
Im Frühjahr 1939 verließ ein Teil der Familie Gumpert-Lippmann Werne: Hannelore Lippmann zog nach Düsseldorf zu ihrer Großtante Bertha Gumpert, Sallys Ehefrau und verwitwet seit 1928. Wenig später folgten ihr auch Cäcilie und Louis.
Louis, Cäcilie und Helene wurden während des Holocaust ermordet, ebenso Bertha Gumpert. Leopold gelang die Flucht nach Paraguay. Von dort bemühte er sich nach Kriegsende um Entschädigung für die erlittenen materiellen Verluste seiner Familie – auch gegenüber der Stadt Werne, die 1940 das Haus in der Bonenstraße erwarb. Das Putzmachergeschäft war da bereits zwangsabgewickelt worden. Alwin, Rosel, Hannelore und Inge wurden ebenfalls während des Holocaust ermordet. Sie waren 1942 nach Zamosc deportiert worden.